Stay Focused rocken durch das zweite Album

CD-Kritik: Values von Stay Focused
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© Jonathan Mazaltov @mazalthan

Die deutsche Rockband Stay Focused hat im Januar mit «Values» ihr zweites Album veröffentlicht und klingt albumübergreifend energetisch und frisch, zeigt viele Facetten in ihrem Können. Dazu erlaubt sich das Trio viel Gefühl in den Texten über Themen wie Trennungen oder schwierige Momente, wie etwa in «New Picture Frame», und wie wichtig in solchen Momenten andere Menschen sein können. Die zehn Songs sind im Tonstudio45 beim renommierten Produzent Kurt Ebelhäuser (Guano Apes, Donots) entstanden. Entsprechend satt sind die Aufnahmen gemischt und machen richtig viel Spass.

 

Schon der Opener «Old Wounds» ist ein Beispiel dafür. Durch den klaren und sauberen Sound ist man sofort im Universum der Band, fühlt sich im voluminösen Rocksound wohl. Die Single legt auch gleich alle Stärken von Stay Focused auf das Silbertablett. Da ist der nüchterne Einstieg mit leicht verzerrtem, aber elegantem Gitarrenspiel, der kurz darauf von einem wilden Schlagzeug gebrochen wird, das vermutlich bewusst den Song verändern möchte. Dazu kommt die charakteristische Stimme, die ein dunkler Touch umweht, aber zielsicher durch den Song manövriert. Das Schlagzeug zieht ab hier nicht nur präzise und variabel einen roten Faden über die Länge des Songs, sondern setzt Akzente und das feine Spiel der Gitarre lässt das Instrument singen. Die Musiker beherrschen ihr Metier bestens, das ist leicht zu erkennen.

 

Etwas weniger, wäre vielleicht mehr gewesen

 

Aber in der Kombi verblassen die Zutaten leider etwas. Es scheint teilweise, als ob sie sich gegenseitig in der Sonne stehen. Das Schlagzeug donnert eingangs so konsequent, dass es die Stimme etwas unterwandert und die Gitarre in den Hintergrund gedrängt wird. Zwar reduziert sich die Dominanz im Laufe des Songs leicht und die Drums fügen sich geschickter in das Ganze ein. Das ist nicht grundsätzlich schlimm, Musik ist immer subjektiv, und vermutlich ist der Einstieg bewusst so wuchtig arrangiert. Beim Schreiben dieser Review schwirrte aber im Kopf herum, dass vielleicht 10% weniger beim Tempo in allen Bereichen beim Ergebnis mehr gewesen wäre.

 

Stay Focused - «Colourless»

 

Dieser Eindruck zieht sich durch das ganze Album. Fehlendes Talent und Können darf man Stay Focused keinesfalls unterstellten, das ist tatsächlich offen hörbar vorhanden. Das zeigt sich gut am Duell aus Schlagzeug und Gitarre, die sich im Titel «Potential» gegenseitig anheizen. In solchen Momenten passt dann auch dieser überbordende Anspruch perfekt, zu zeigen, was man kann. Danach müssten aber auch Brüche im Rhythmus passieren oder Momente zum Durchatmen passieren, wie die Parts von Gastsängerin Lorain in «Colourless». Ihr gelingt es hervorragend, den Songs zu ergänzen und eine Wärme zu verströmen. Aber über die volle Platte gesehen klingt die Band rhythmisch schon oft ähnlich, verpasst es, Ecken und Kanten zu setzen, die sie zweifellos im Köcher hätte. Was die Krux an der Sache offenbart denn eigentlich wird das in der Summe gesehen der Band nicht vollumfänglich gerecht wird.

 

Es ist keineswegs so, dass es sich die Band zu einfach macht, die Ambitionen sind durchaus vorhanden und Stay Focused zeigen auf dem zweiten Album durchaus Gespür für ihre Musik, die sich zwischen Metal, EMO, Punk und Alternative schlängelt. Manchmal schwingt sich der Gesang sogar zum regelrechten Growling rauf, was aber letztlich wie ein Fremdkörper wirkt und nochmals zeigt, dass die Band manchmal im Mikrokosmos eines Songs schlicht auf zu vielen Hochzeiten tanzt. Die Stimme hat nämlich dann am meisten emotionale Kraft, wenn sie sich erlaubt, die Texte ohne Druck zu erzählen. Dann bekommen Zeilen wie «You were once all i had / now you’re the only thing i wish i would had again» aus dem Opener «Old Wounds» alleine durch den charismatischen Gesang eine zusätzliche Tiefe.

 

Titeltrack «Values» - eindrücklicher Abschluss

 

Vielleicht wäre mit «Values» mehr möglich gewesen. Aber natürlich zeigt die Scheibe die künstlerische Vision der Band und gilt es zu respektieren. So ist die zweite Scheibe der Band aus dem hessischen Limburg an der Lahn weit weg von schlecht - im Gegenteil. Aber die drei Jungs wären nicht die ersten, die aus Ambition leicht über das Ziel hinausgeschossen sind.

 

Zweifellos wird das Album sein Publikum finfen und live dürften die Songs für viel Stimmung sorgen. Denn handwerklich macht die Band sehr viel richtig gut. Und fast als wollte die Band den Eindruck entkräften, zeigt der Titeltrack «Values» zum Schluss eindrücklich, wie Stay Focused klingen, wenn sie alle Bereiche geschickt drosseln und sich so ein harmonisches Klangbild ergibt.

 

Stay Focused legen mit «Values» ein rundes Album ab, das von ehrlichem Rock geprägt ist, aber etwas zu viel will.

 

 

Patrick Holenstein / Fr, 26. Jan 2024